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Fluorchinolone sind hochwirksame Antibiotika. Schwere und langanhaltende Nebenwirkungen im Bereich Muskeln, Gelenke und Nervensystem haben dazu geführt, dass die Arzneimittel nur noch ausnahmsweise verordnet werden sollen. Ratsuchende wenden sich mit Fragen rund um dieses Thema an die Unabhängige Patientenberatung. Der folgende Text greift die häufigsten Fragen in diesem Zusammenhang auf, erläutert Hintergründe und zeigt Handlungsmöglichkeiten für verschiedene Situationen auf.
Fluorchinolone (manchmal auch als Fluorochinolone bezeichnet) sind eine Gruppe von Antibiotika, also Medikamente, die gegen Infektionen mit Bakterien eingesetzt werden. Es handelt sich um eine Untergruppe der Chinolone. Diese unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur stark von anderen Antibiotika. In Deutschland zugelassene Wirkstoffe aus der Gruppe der Fluorchinolone sind:
Ciprofloxacin
Levofloxacin
Moxifloxacin
Norfloxacin
Ofloxacin
Fluorchinolone sind wirkungsvolle Arzneimittel, die bei vielen verschiedenen bakteriellen Infektionen eingesetzt werden können. Ihre Anwendung kann jedoch zu erheblichen und dauerhaften Nebenwirkungen führen.Risiko und Nutzen dieser Medikamente wurden daher in den Jahren 2017 bis 2019 erneut wissenschaftlich bewertet und Empfehlungen für die Anwendung aktualisiert.
Die ersten Vertreter dieser Antibiotikagruppe wurden vor rund 30 Jahren zugelassen. Medikamente werden auch nach der Zulassung bezüglich auftretender Nebenwirkungen beobachtet. Im Laufe der Jahre mehrten sich bei den Fluorchinolonen Hinweise auf mögliche weitere Risiken.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat in einem Risikobewertungsverfahren Nutzen und Risiko der Chinolone wissenschaftlich neu bewertet. Die Untersuchungsergebnisse führten im Jahr 2019 dazu, dass bisherige Anwendungsgebiete eingeschränkt und präzisiert wurden. Seither müssen neue Warnhinweise auf mögliche schwere Nebenwirkungen aufmerksam machen. Die Empfehlungen gelten für systemisch angewendete Chinolone (das heißt, die Medikamente werden zum Beispiel als Tabletten eingenommen oder gespritzt) und für Medikamente zur Inhalation.
Für die Bewertung ist bei der EMA der Ausschuss für Risikobewertung (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC)) zuständig. In Deutschland setzt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Empfehlungen um. Die Ärzteschaft sowie Apotheker und Apothekerinnen wurden mit sogenannten Rote-Hand-Briefen über die Änderungen informiert. Rote-Hand-Briefe werden von den pharmazeutischen Unternehmen in Absprache mit den zuständigen Bundesoberbehörden verschickt. Hierzu sind die Unternehmen nach dem Deutschen Arzneimittelgesetz verpflichtet.
Im Rahmen des Risikobewertungsverfahrens wurde ein sehr breites Spektrum an Nebenwirkungen überprüft. Im Vordergrund stehen Auswirkungen auf Sehnen, Muskeln, Gelenke und das Nervensystem.
Zu diesen Nebenwirkungen gehören zum Beispiel:
Entzündungen von Sehnen (Tendinitis). Diese machen sich zum Beispiel durch eine schmerzhafte Schwellung bemerkbar. In schweren Fällen kann es zu einem Sehnenriss (Sehnenruptur) kommen. Besonders häufig ist die Achillessehne betroffen.
Muskelschmerzen (Myalgie), Muskelschwäche
Gelenkschmerzen (Arthralgie), Gelenkschwellungen
Gangstörungen
neuropathische Symptome, zum Beispiel Schmerzen oder Brennen in Händen oder Füßen
sensorische Störungen (Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen)
Schlaflosigkeit, Depressionen, Ermüdung (Fatigue)
Diese Nebenwirkungen treten sehr selten auf. Sie können direkt nach der Behandlung, aber auch erst einige Monate nach Behandlungsende auftreten. Häufig bilden sich die Beschwerden mit der Zeit wieder zurück. Sie können jedoch auch über Monate oder Jahre anhalten und möglicherweise bleibend sein. Manche der Symptome sind schwerwiegend und können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
Sie nehmen aktuell Fluorchinolone ein oder wurden in der Vergangenheit mit Fluorchinolonen behandelt? Bei Ihnen liegen Symptome vor, die als mögliche Nebenwirkungen beschrieben sind? Dann können Sie Folgendes tun:
Je nachdem, welche Beschwerden bei Ihnen vorliegen, kommen unterschiedliche Ärzte und Ärztinnen als Ansprechpartner und -partnerinnen infrage. Das kann zunächst Ihr Hausarzt oder Ihre Hausärztin sein. Bei Beschwerden an Sehnen und Bewegungsapparat ist eine Facharztpraxis für Orthopädie eine geeignete Anlaufstelle, bei Nervenschmerzen eine Neurologin oder ein Neurologe. Der Arzt oder die Ärztin kann Sie untersuchen und mit Ihnen Behandlungsmöglichkeiten besprechen.
Die Art der Behandlung hängt von Ihren Beschwerden ab und zielt darauf ab, die Symptome zu lindern.
Es gibt keine spezifischen Gegenmittel oder Behandlungen, die die Wirkung der Fluorchinolone beeinflussen. Die Medikamente werden im Körper schnell abgebaut. Auch anhaltende Nebenwirkungen sind kein Hinweis darauf, dass sich noch Medikamentenrückstände im Körper befinden. In manchen Foren oder in Patientenberichten im Internet werden Nahrungsergänzungsmittel oder Ernährungsempfehlungen beworben, um Arzneistoffe aus dem Körper zu entfernen. Bisher gibt es jedoch kein Verfahren, dessen Nutzen in Zusammenhang mit Fluorchinolonen wissenschaftlich belegt ist.
Schwere Nebenwirkungen und die Angst, dass diese dauerhaft bleiben, können psychisch sehr belastend sein. In dieser Situation ist es oft hilfreich, mit einem Arzt oder einer Ärztin des Vertrauens eventuell vorhandene Ängste zu besprechen und gemeinsam einen Plan für das weitere Vorgehen festzulegen. Sie können zum Beispiel besprechen, in welchen Abständen Kontrolluntersuchungen sinnvoll sind. Erkundigen Sie sich, bei welchen neuen oder sich verstärkenden Symptomen eine Vorstellung in der Praxis sinnvoll ist und welche Maßnahmen Sie unterstützen können, mit den Beschwerden bestmöglich umzugehen. Hierzu können zum Beispiel eine medikamentöse Linderung der Symptome, körperliche und soziale Aktivität und psychotherapeutische Unterstützung gehören.
Es gibt keine Möglichkeit, sicher herauszufinden, ob die Symptome im Einzelfall in Zusammenhang mit der Einnahme von Fluorchinolonen stehen. Sehnenentzündungen, Sehnenrisse, Nervenschmerzen und die anderen genannten Symptome können auch andere Ursachen haben. Häufig ist die Ursache unbekannt. Die Symptome kommen auch bei Menschen vor, die niemals Fluorchinolone eingenommen haben. Ihr behandelnder Arzt oder Ihre Ärztin wird die erforderlichen Untersuchungen durchführen, um bekannte und behandelbare andere Ursachen für die Beschwerden abzuklären.
Je mehr Informationen über ein Arzneimittel bekannt werden, umso eher können mögliche unerwünschte Wirkungen erkannt und Risiken eingeschätzt werden. Daher ist es wichtig, den Verdacht auf Nebenwirkungen bei den zuständigen Stellen anzugeben. Sollten Sie den Verdacht haben, an einer Nebenwirkung von Fluorchinolonen zu leiden, können Sie aktiv werden und diese melden.
In der gemeinsamen Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) finden Sie weitere Informationen und ein entsprechendes Meldeformular für Verbraucher und Verbraucherinnen. Dieses können Sie allein, mit ärztlicher Unterstützung oder zusammen mit Ihrem Apotheker oder Ihrer Apothekerin ausfüllen.
https://nebenwirkungen.pei.de/nw/DE/home/home_node.html
Viele Patienten und Patientinnen, die schwerwiegende Nebenwirkungen von Fluorchinolonen haben, fragen sich, ob sie Anspruch auf Schadenersatz haben. Die Frage berührt einen komplexen Zusammenhang und kann nur im Einzelfall beantwortet werden.
Grundsätzlich gilt: Bei allen Behandlungen mit Arzneimitteln können unerwünschte Wirkungen auftreten. Dies ist nicht zwangsläufig auf einen Fehler der behandelnden Ärzte und Ärztinnen oder der Arzneimittelhersteller zurückzuführen. Es gibt schicksalhafte Verläufe, die zu schweren Einschränkungen für Betroffene führen können, obwohl die Behandlung fachgerecht erfolgt ist. Allerdings ist der Einsatz von Fluorchinolonen auf schwere Infektionen beschränkt. Die Anwendungsbereiche sind entsprechend verändert worden und im Rote-Hand-Brief oder der Fachinformation für die Behandelnden einsehbar.
Eine ärztliche Haftung wegen eines Behandlungsfehlers kommt infrage, wenn eine medikamentöse Therapie nicht dem Facharztstandard entspricht und der Patient oder die Patientin dadurch Gesundheitsschäden erleidet. Dies könnte also der Fall sein, wenn Fluorchinolone für eine Behandlung eingesetzt wurden, für die sie nicht empfohlen sind oder wenn nicht korrekt dosiert wurde. Grundsätzlich müssen die Betroffenen nachweisen, dass der Arzt oder die Ärztin einen Fehler begangen hat und sie einen Schaden erlitten haben. Darüber hinaus müssen sie nachweisen, dass der bei ihnen eingetretene Gesundheitsschaden auf die fehlerhafte Behandlung zurückzuführen ist. Dieser Nachweis kann meist nur mithilfe eines medizinischen Gutachtens geführt werden.
Der Arzt oder die Ärztin hat die Pflicht, über Risiken, Nebenwirkungen sowie Alternativen eines Medikamentes aufzuklären. Auch eine fehlende oder mangelhafte Aufklärung kann eine Haftung des Arztes oder der Ärztin zur Folge haben. In einem solchen Fall muss der Arzt oder die Ärztin beweisen, dass er oder sie den Patienten oder die Patientin ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Bei der Aufklärung gilt der Wissensstand zum Zeitpunkt der Anwendung – neuere Erkenntnisse konnte der Arzt oder die Ärztin zu diesem Zeitpunkt ja nicht berücksichtigen.
Weitere Informationen zum Thema Behandlungsfehler finden Sie hier.
Wenn durch die Anwendung eines zugelassenen Medikamentes ein Mensch getötet oder seine Gesundheit erheblich verletzt wird, haftet das pharmazeutische Unternehmen, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:
Um einen Schadensersatzanspruch geltend machen zu können, müssen Geschädigte begründen, dass das Arzneimittel in ihrem konkreten Fall geeignet war, den Schaden zu verursachen. Außerdem müssen sie darlegen, dass sie das Arzneimittel bestimmungsgemäß angewandt haben. Gelingt dies, greift zugunsten der Betroffenen die sogenannte Kausalitätsvermutung. Das heißt, der Patient oder die Patientin muss nicht beweisen, dass der erlittene Schaden durch das Arzneimittel verursacht wurde. Dies wird dann von Gesetzes wegen vermutet.
Geschädigte Patienten und Patientinnen haben gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmen einen Auskunftsanspruch. Das Unternehmen muss schriftlich über Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie entsprechende Verdachtsfälle Auskunft geben. Dies gilt auch für alle weiteren Erkenntnisse des Unternehmens, die für die Bewertung der Nebenwirkungen von Bedeutung sein können. Mit diesem Anspruch soll der Wissensvorsprung des pharmazeutischen Unternehmens ausgeglichen und Chancengleichheit für einen eventuellen Haftpflichtprozess hergestellt werden.
Die angepassten Empfehlungen schränken die Anwendungsgebiete (Indikationen) von Fluorchinolonen deutlich ein. Die Antibiotikagruppe wurde jedoch nicht komplett vom Markt genommen. Der Grund: Bei bestimmten Infektionen sind sie weiterhin die wirksamste Behandlungsmöglichkeit. Diese Antibiotika können lebensrettend sein, wenn zum Beispiel andere Antibiotika gegen die Erreger nicht ausreichend wirksam sind.
Bei Patienten und Patientinnen mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen müssen Fluorchinolone mit besonderer Vorsicht verwendet werden. Hierzu gehören Menschen, bei denen bereits einmal Nebenwirkungen durch Medikamente dieser Gruppe aufgetreten sind. Auch für ältere Menschen, Patienten und Patientinnen mit Niereninsuffizienz, nach einer Organtransplantation und bei der gleichzeitigen Einnahme von Cortison-haltigen Medikamenten ist das Risiko erhöht.
Wenn Ihr Arzt oder Ihre Ärztin Ihnen ein Fluorchinolon-haltiges Antibiotikum verschreibt, können Sie zum Beispiel die folgenden Fragen ansprechen:
Ist in Ihrer Situation ein Antibiotikum dringend erforderlich oder können Sie gegebenenfalls abwarten, ob die Erkrankung alleine ausheilt?
Entspricht die Anwendung von Fluorchinolonen in Ihrer Situation den aktuellen Hinweisen in der Fachinformation und Empfehlungen? Besteht eine Indikation für die Anwendung dieser Antibiotika?
Gibt es ein anderes Antibiotikum, das infrage kommt?
Liegen bei Ihnen Risikofaktoren vor, die das Auftreten von Nebenwirkungen begünstigen könnten?
Bei welchen Symptomen während der Behandlung sollten Sie das Medikament nicht weiter einnehmen und sich wieder in der Praxis vorstellen?
Die Entscheidung über die beste Vorgehensweise müssen Betroffene im Einzelfall gemeinsam mit ihren Ärzten und Ärztinnen treffen. Dabei sollten alle aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Informationen berücksichtigt und die Behandlungsmöglichkeiten individuell abgewogen werden.
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